Montag, 6. August 2012

5te Kolumne


Dieser Post und der folgende sind Wiederveröffentlichungen von Kolumnen, die ich vor längerer Zeit geschrieben habe, und die nicht mehr online sind.

Aktive Spieler

Endlich. Ich sitze am Tisch, vor mir Batterien von Dickmachern und Durstlöschern, und - viel wichtiger - diese Type mit den vielen Zetteln in den fahrigen Fingern und den dunklen Ringen unter den Augen. Sein einziger Daseinszweck ist es, MICH, der ich diese Runde an meiner überirdischen Gegenwart teilhaben lasse, zu unterhalten, zu ergötzen, und mir NSCs in den Weg zu werfen, an denen ich die Überlegenheit meines Kampfmagierpaladinhalbdrachens abreagieren kann. Endlich.

Perspektivenwechsel.

Der Himmel steh' mir bei. Da sitzen sie wieder. Leerer Blick, höhere Hirnfunktionen im Leerlauf, mechanisch nahrungsverwandte Substanzen aufnehmend, und mit dem Imperativ "BESPASS' MICH ENDLICH!" in gotischen Lettern auf die Stirn tätowiert. Grauen lähmt meine Zunge, und vernebelt den Handlungsfaden in meinem Hirn, zusammengeklöppelt in langen Nächten.

Zugegeben, überzeichnet. Aber für sowas schreibe ich ja Kolumnen. Was ich damit sagen will? Nichts ist qualvoller für einen SL als eine Runde von Konsumentenspielern. Warum? Na ja, weil es schlicht Verschwendung ist, in einer Runde von 5 mit Vorstellungsvermögen ausgestatteten Menschen (bei loser Verwendung des Begriffs) die ganze kreative Arbeit von einer armen Sau leisten zu lassen. Die hat schon genug damit zu tun, die Handlung von Spielabend und Kampagne am Laufen zu halten, ohne am laufenden Band graphische NSCs und humorige Vorfälle neben der Haupthandlung zu produzieren.
Im Umkehrschluss heißt das: nichts kann mich als SL so freudig stimmen wie Spieler, die unaufgefordert aktiv werden. Schwierig ist das nicht, wie ich mit den folgenden Punkten illustrieren will:

(1) Beim Hintergrund fängt es an
"Ja, äh, ich will halt so'n Paladin spielen. Der kämpft für das Gute, irgendwie. Und Orks findet der Scheiße."
Da lacht Geschichtenerzählers Herz, hysterisch. Es müssen ja nicht gleich fünf handkalligraphierte Seiten für jeden Charakter sein, aber zwei Merkmale machen ihn zu Spielleiters Liebling:
(a) Handlungshaken in der Vorgeschichte; man schaue sich in der Literatur um: verlorene Geliebte; lang tot geglaubte Erzfeinde; ein seltsames Verhängnis, dass der Familie nachschleicht; ein Mentor, dem man verpflichtet ist; unerklärliche Vorfälle; ein kurioses Familienerbstück, dass sich als Artefakt des Angemessenen Arschversohlens herausstellen könnte; alles Dinge, die einem Spielleiter als mögliche Inspirationen dienen können, um sie in seine Haupthandlung einzubauen. Was den angenehmen Nebeneffekt hat, dass die Handlung damit für den Charakter gleich zu einer "persönlichen Angelegenheit" wird: nicht "Er ist death Todes, weil er dieses Schwertdingens hat, das unser kapuziger Auftraggeber in der Taverne haben will", sondern "...weil er das Schwert von Großonkel Hubert führt, dass rechtmäßig meiner Familie gehört."

(b) Spezifische Motivationen
Kann schon im Hintergrund vorkommen, kann sich aber auch im Laufe des Spiels entwickeln. "Ich bin rechtschaffen gut" oder "ich morde für Gold" geben mir als SL nicht viel an die Hand. "Ich muss immer für den Underdog einstehen" oder "ich drehe durch, wenn man wider Sigmar lästert" schon sehr viel mehr. Spezifische Motivationen bedeuten, dass ich weiß, was ich in's Spiel bringen muss, um einen bestimmten Spieler zu aktivieren. Sind sowas wie ein "an"-Schalter, im Endeffekt.

(2) Initiative
Nichts ist langweiliger und vorhersehbarer als eine Gruppe, die nur auf Anweisung aktiv wird. Klar, ich kann immer Kapuzen-Man aus dem Ärmel ziehen, um die Charaktere in die nächste Handlung zu schicken, und dann gehen die auch. Aber wie viel mehr fordert es mich, wenn die Charaktere sich in den Kopf setzen, erstmal die Ruine zu erkunden, die ich in der vorletzten Szene bloß als Lokalkolorit beschrieben habe. Nur weil ein Spieler der fixen Idee aufgesessen ist, dass sie die letzte Ruhestätte von Finstergoth dem Lichtscheuen ist, der aber auch gar nichts mit der Handlung zu tun hat. Aus sowas kann im Idealfall eine eigene, völlig ungeplante Erweiterung der Haupthandlung werden.

(3) eindeutige NSCs übernehmen
Mit das anstrengendste für mich als SL ist es, Szenen darzustellen, in der mehrere NSCs gleichzeitig mit den Spielern interagieren. Deswegen ist es immer schön, wenn Spieler mit abwesenden Charakteren weniger wichtige NSCs übernehmen, damit ich mich auf die Hauptfigur konzentrieren kann. Vielleicht gibt's die nicht in jeder Szene, aber der geneigte Spieler hat gemeinhin einen Riecher dafür, welche NSCs wichtig für die Handlung sind, und welche bloße Staffage darstellen.
Staffage, die aber hohen Unterhaltungswert hat. Eric Idle als feilschender Kürbishändler ist so eine Figur, jeder beliebige Butler (außer denen, die die Mörder sind), die zu kalt angezogene 'Nähmamsell' in der Taverne, der zutrauliche Suffkopp, lauter Rollen, die danach schreien, für eine Szene von Spielern übernommen zu werden, dessen Charaktere gerade anderweitig kriminell sind. Dann hat man als Spieler zu tun, kann schön breit ein Cliché spielen, und der Spielleiter muss nicht in einer Tour mit sich selbst dialogisieren, das wirkt immer leicht schizophren.
Und im äußersten Fall kann ich als SL immer noch sagen: "Den nun gerade nicht!".

Beherzigt diesen Rat, und Eure SL gibt Euch bestimmt ein Schwert plus 5. Oder kriegt einen überforderungsbedingten Zusammenbruch, was ja auch unterhaltsam sein kann. Auch Spieler können kreativ sein.
In diesem Sinne, munter bleiben,
der Kolumnist.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen