Sonntag, 10. September 2023

Die Expedition des Grafen de la Perouse - Kapitel 2

 Vor der Küste Brasiliens

über die Geschehnisse am 3. November im Jahr 1785

Die 'La Boussole' setzt Segel

Brief aus dem Nachlass des Oberstleutnant Erhardt von Braunwurtz, der nach dessen Tod 1944 in der Normandie dem amerikanischen Militärfotografen Floyd J Peapon in die Hände fiel. Peapon übergab den Brief dem Smithsonian Institute.


geschrieben am 7. November 1785, an Bord der 'L'Astrolabe', im Hafen von Salvador da Bahia

Hoch geschätzter Monsieur le Commissaire,

ich vertraue darauf, dass diese Zeilen sie bei bester Gesundheit und Gemütsverfassung vorfinden. Mir selbst geht es gut, trotz der Fährnisse, von denen zu berichten ich eingedenk der Mission, mit der Euer Gnaden mich betrauten, nicht umhin kann.

So will ich ohne viel Umschweife zur Sache kommen: die Überfahrt über den Atlantischen Ozean verlief recht ereignislos, nachdem in Concarneau endlich alles zu meiner Zufriedenheit besorgt worden war.

Wir gingen am Abend des 1. November vor der Nordostküste Brasiliens vor Anker, etwa 25 Seemeilen südlich des Ortes Salvador da Bahia. Wir beabsichtigten, Wasser aufzunehmen, einige kleinere Schäden an der 'La Boussole' in Stand zu setzen, und bei der Gelegenheit nach frischem Fleisch zu jagen, lagen doch noch viele Seemeilen vor uns. Am Morgen des dritten waren wir sodann wieder seeklar. Als wir eben Anker auf zu gehen beabsichtigten, schälten sich in östlicher Peilung Segel aus dem dichten Morgennebel, in denen wir alsbald die spanischen Schiffe zu erkennen vermochten, die uns bereits an der Ile de Sein so arg zugesetzt hatten. Nichts Gutes ahnend, beschloss ich, vorerst keine Segel zu setzen, in der Hoffnung, die Spanier würden uns vor Topp und Takel im Dunst übersehen.

Die Hoffnung erwies sich als trügerisch, die spanischen Schiffe hielten in zwei Kolonnen weiter auf unsere Ankerplätze zu. Zwar sichtete der Ausguck der 'La Boussole' alsbald hinter den spanischen einige Toppsegel unverkennbar französischen Zuschnitts, die das Feuer auf die Spanier eröffneten; jedoch nicht rechtzeitig genug, um zu verhindern, dass die Spanier uns entdeckten. Der Kapitän der versuchte, zu unseren Landsleuten durchzubrechen, ich selbst beschloss, noch abzuwarten.

So wurden wir Zeuge des Unglücks, das unser Begleitschiff ereilte: eine der spanischen Fregatten eröffnete das Feuer auf die 'La Boussole', wohl, um sie zu zwingen, Segel wegzunehmen. Für einen Moment geschah nichts, dann zerriss eine ohrenbetäubende Detonation den Morgennebel: 'La Boussole' verschwand in einer dicken Wolke graubraunen Qualms. Selbst die Spanier schien dies zu überraschen, in dem resultierenden Durcheinander feuerten ihre Schiffe aufeinander.

Unterdessen spielte sich vor unserem südlicheren Ankerplatz eine ähnliche dramatische Szene ab: die spanische Fregatte, die sich tollkühn unserem Geschwader in den Weg geworfen hatte, erfuhr augenscheinlich ebenfalls einen Treffer in's Pulvermagazin: zum zweiten Male erzitterten die Nebelbänke und, so mochte man meinen, sogar die Palmen am Strand.

Daraufhin drehten die Spanier ab, sicherlich in der Einsicht, unserer nicht habhaft werden zu können. Lobend will ich den Chevalier de Launay erwähnen, der Eure Orders pflichtschuldig befolgte, und nach einem auf das Notwendigste beschränkten Austausch per Sprechtrompete davon absah, bei uns an Bord zu kommen.

Soviel zu den Geschehnissen am dritten November. In deren Konsequenz sehe ich mich gezwungen, erneut Eure Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen: zwar ist die Boussole dahin, aber ich bin zuversichtlich, dass die Apparatur keinen nennenswerten Schaden gelitten hat. Somit ersuche ich Euch,  die Leonardo'sche Glocke aus dem Marinemagazin in Brest auf ein geeignetes Schiff zu verladen, und selbiges auf dem schnellsten Wege nach Salvador da Bahia zu entsenden. Ich werde mich höchstpersönlich um die Bergung kümmern, und Euch sodann Vollzug melden.

In der Hoffnung auf baldige Antwort verbleibe ich,

hochachtungsvoll

Jean-François de Galaup

Das schreckliche Schicksal der 'La Boussole'.