Eine weitere Depesche aus dem Braunwurtz-Nachlaß, den Floyd J Peapon dem Smithsonian Institute übergab.
geschrieben am 17. Januar 1786 zu Salvador
da Bahia
Hoch geschätzter Monsieur le Commissaire,
ich habe fürwahr überaus erfreuliche
Neuigkeiten zu berichten in Sachen der Bergungsunternehmung der auf so
unglückliche Weise verloren gegangenen ‘Boussole’. Vor wenigen Tagen lief ‘La
Néréide’ in Salvador ein, kommandiert von Lieutenant de Froissac. Als Passagiere
waren gefahren die Edle Chipahua, aus der Herrscherfamilie des hiesigen Volkes
der Yamoac, Monsieur de Montfaucon vom diplomatischen Corps seiner Majestät;
sowie - zu meiner nicht geringen Freude – die Vicomtesse de la Bonneaventûre.
Ich darf von Glück sagen, daß die Damen und
Herren keine Zeit verloren, mir die Aufwartung in der bescheidenen Residenz zu
machen, die mir der Gouverneur von Salvador zur Verfügung gestellt hatte. Denn
just in den grauen Stunden des Morgens nach dem Einlaufen der ‘Néréide’ brachen
gedungene Schergen dort ein, schlugen meine nichtsahnenden Dienstboten nieder und
bedrängten mich auf das Fürchterlichste. Zu unser aller Glück stellte
Lieutenant de Froissac unter Beweis, dass seine Gewandtheit mit dem Degen
seiner Tüchtigkeit als Offizier in nichts nachstand, im Handumdrehen hatte er
die Schergen entwaffnet oder bewusstlos geschlagen. Lediglich ihr Anführer war
noch auf den Füßen, und bedrohte mich mit seinem Dolch, doch hatte er die Rechnung
ohne die Edle Chipahua gemacht: ihr Wurfmesser fuhr ihm in den Unterarm, und mit
einem gotteslästerlichen spanischen Fluch auf den Lippen suchte er das Weite.
In der Tat: die Übeltäter stammen ganz zweifelsohne
aus Spanien. Dessen bin ich gewiß, da die ‚Néréides‘ – wenn Ihr mir diese formlose
Bezeichnung gestatten wollt – am Abend dieses Tages just dieses Übeltäters auf
dem Ball des Gouverneurs zu Ehren des Namestages des Heiligen Nepomuk gegenwärtig
wurden, und Madame de la Bonneaventûre ihn sogar unerschrocken zur Rede
stellte. In Salvador da Bahia trägt dieses zwielichtige Individuum den Deckmantel
des redlichen portugiesischen Kaufherren Dom João Leite Brandão*, doch wie mir
Monsieur de Montfaucon offenbarte, nachdem wir die Angelegenheit in aller Ruhe
durchgehen konnten, ziert seinen Mantel in Wahrheit das Lilienkreuz des Ordens
von Calatrava! Ihr wisst genau so gut wie ich, welches Offizium seine Handlanger
in den Reihen dieser Ordensbrüder rekrutiert…
Es wurde mir zugetragen, dass alle vier auf
besagtem Ball eine gute Figur gemacht und für recht viel Gesprächsstoff gesorgt
haben. In Versailles mag Euch das schwer begreiflich sein, aber hier am Rande
der Zivilisation nimmt man jedes bisschen Kunde aus Europa auf wie Verdurstende
einen Becher Wasser. Auch Donha Quíhue**, die Gattin des Gouverneurs und eine
einflussreiche Persönlichkeit in Salvador war voll des Lobes, obschon sie ein
sehr ernstes Gespräch mit der Edlen Chipahua geführt haben muss, so wollen es
Augenzeugen gesehen haben. Weitaus besorgniserregender waren die Gerüchte, die
Monsieur de Montfaucon in Erfahrung zu bringen wusste: unweit Salvadors sollte
eine spanische Fregatte auf der Lauer liegen! Das ließ Böses ahnen im Hinblick
auf unser Vorhaben, am Folgetag die ‚Néréide‘ Anker auf gehen zu lassen, um
mittels der Leonardo’schen Glocke das Armillar zu bergen. Kurz entschlossen
eilte man zum Schiff, und Lieutenant des Froissac tat alles, schnellstmöglich
die Bucht zu erreichen, in der das Wrack der ‚Boussole‘ liegt.
Wie erwartet herrschte dort reges Treiben: das
Volk der Yaomac war im Begriff die Zeremonie der zwei Schlangen abzuhalten, den
höchsten Feiertag ihres heidnischen – wenngleich völkerkundlich überaus
interessanten – Kultes. Dank des energischen Auftretens der Edlen Chipahua gewährte
die Stammesälteste der ‚Néréide‘ jedoch freie Passage. Und dies keine Minute zu
früh. Denn während Chipahua nach dem Wrack erfolgreich tauchte, entdeckte
Monsieur de Montfaucon aus dem Norden nahend die Bramsegel der spanischen Fregatte,
und identifizierte sie als die ‚Santa Perpetua‘, bestückt mit 34 Kanonen.
Des nahenden Feindes gewahr, muss es
erhebender Augenblick gewesen sein: Madame de la Bonneaventûre und Lieutenant
de Froissac brachten Schiff und Glocke in Position, unter der kundigen Einweisung
der Edlen Chipahua. Schnell war das Armillar gefunden und gesichert, und wurde
triefend an Bord der ‚Néréide‘ gehievt.
Monsieur de Montfaucon hatte unterdessen von
langer Hand ein Ablenkungsmanöver vorbereitet, um den spanischen Canaillen ein
falsches Fundstück unterzujubeln, das jedoch aufgrund der nautischen Exzellenz
der Vicomtesse und des Chevalier gar nicht benötigt wurde. Denn unter vollem
Zeug nahm die Brigg Fahrt auf, und ein weiteres Mal eröffnete ein spanisches Schiff
wider alles Recht und gute Sitten das Feuer! Doch half es ihnen wenig, denn
unter der kundigen Hand des Leutnants, und dem wachen Blick der Ozeanographin gewann
die ‚Néréide‘ einen Vorsprung und ließ den Spanier schließlich im schlechten
Wetter hinter sich.
All dies weiß ich von Hörensagen und
Augenzeugen, denn die ‚Néréides‘ trugen Sorge dafür, daß mir das Armillar durch
treue Yaomac übergeben wurde. Ich bin zuversichtlich, daß ich diesem tüchtigen
Schiff wieder begegnen werde, sobald sie die ‚Santa Perpetua‘ abgeschüttelt
haben. Und selbst, wenn ihnen das nicht gelingen sollte, so seid gewiss, mir
wird schon etwas einfallen, wie wir mit Hilfe des von Monsieur de Montfaucon
fabrizierten Götzenbildes die Dons werden nasführen können.
Für’s erste bereite ich mich auf die Abreise
vor, und lasse ‚L’Astrolabe‘ seeklar machen. Um’s Kap Horn wird es kein leichter
Törn.
Ich verbleibe hochachtungsvoll,
Jean-François de Galaup
Anmerkungen des Archivars
*: möglicherweise eine Verbindung zu Padre Iago Ballester?
**: vermutlich Domha Quíhue Alfonsín das Vargas