Verzweiflung,
Abscheu, würgende Angst
Preisfrage:
wessen Geschichte ist spannender und erhebender: die von Sam Gamgee,
der seine Furcht vor Mordor und seine Abscheu vor Gollum niederringen
muss, um ein Held zu werden; oder die von Conan, der zu strunzstumpf
ist, um zu wissen, wie man „Furcht“ schreibt?*
Da hab’ ich
mich doch neulich gefragt: wann habe ich eigentlich das letzte Mal
erlebt, dass ein Spielercharakter so sehr die Muffe ging, dass selbst
seinem Spieler ein bisschen Bange wurde? Dass seine Situation so
aussichtslos war, dass den Spieler ein ungutes Gefühl beschlich?
Dass das Gesicht des Leichnahms, das der Charakter gerade als Stütze
benutzt hat, um aus der Gruft zu klettern, so widerlich war, dass der
Spieler wenigstens für einen Moment die Chipstüte beiseite legte,
ganz egal, wie die Konsti-Probe ausgegangen war?
Sicher, eine
Triebfeder, die uns alle rollenspielen lässt, ist es, strahlender
Held und echt harte Sau zu sein. Und eben nicht vor dem
übelriechenden, pöbelnden Glatzkopf den Schwanz einzuziehen und die
Straßenseite zu wechseln, weil man Schiss davor hat, für nix auf’s
Maul zu kriegen. Sondern ihn mit der ganzen Macht unserer
Schlagring+2-bewehrten, Handgemenge-18-getriebenen Pranke für sein
Fehlverhalten physisch abzumahnen, bis kein Blut mehr kommt, und sich
hinterher gut zu fühlen.**
Doch, frag’ ich den geneigten Leser,
welchen Wert hat ein Hochgefühl, wenn neben ihm kein schwarzer
Abgrund voll Trostlosigkeit und Schmerzen liegt? Ist der Triumph
nicht schal, wenn auf dem Weg dorthin kein Tropfen Angstschweiß
vergossen wurde, und er keine Überwindung gekostet hat?
Damit
ist nicht nur gemeint, dass Spieler rational sagen: „Oh halt mal,
mein Charakter hat nur Mut 10, ich müsste jetzt hier Angst haben.
Denn spiel’ ich das mal aus <räusper> Ouhhouhou, mir ist so
fürchterlich…“ Ein bisschen Emotion muss bei den Spielern selber
ankommen. Es reicht nicht, dass sie intellektuell überreißen, dass
ihr Charakter gerade Todesangst aussteht, ihnen muss selber im Magen
ein bisschen mulmig werden.
Spieler wollen das nicht. Es ist
unbequem. Aber Rollenspiel ist kein Ponyhof, wir Spielleiter sind
gehalten, das Erlebnis für die Spieler intensiver zu machen, auch
wenn sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehren, und danach in
Therapie müssen. Also müssen wir ihnen wehtun. Für die Sache, d.h.
für die Erzählung, und nur weil wir die Spieler gerne haben und sie
unterhalten wollen, nicht weil wir es gerne tun.***
Mal ganz
ehrlich: auch für den Spielleiter ist es nett, wenn die Spieler sich
mal fürchten. In Wahrheit hängt unser Herzblut an diesem bösen
Erznekromanten oder dem intriganten, sadistischen Oberfiesling bei
Hofe, weil wir ihn uns wirklich COOL ausgedacht haben. Wäre es eine
Filmrolle, würden sich Alan Rickman und John Malkovich darum
prügeln. Wenn das verdammte Spielergesocks so gar keinen Respekt vor
ihm haben will, ist das ein Affront. Und überdies dem Drama nicht
förderlich. Welche Geschichte hat schon einen Satz Protagonisten,
die alle die Coolness von Rutger Hauer und die Furchtlosigkeit von
Arnie haben? Ehrlich, ich weiß ja, dass ich als Spielleiter bei der
Darstellung furchterregender NSCs keine Starbesetzung bin. Aber hey,
Rollenspieler strunzen immerfort herum, was sie für ein
Vorstellungsvermögen besäßen. Also, Butter bei die Fische, und
Hosen voll gemacht!
Langer Rede kurzer Sinn: einem Spielabend,
an dem kein Spieler sich vorübergehend geekelt, gefürchtet oder
verloren gefühlt hat, fehlt etwas. Allerdings will ich zur
Abwechslung hier mal nicht alle Verantwortung den Spielern
zuschieben. Negative Emotionen hervorzurufen und zu zeigen ist nicht
einfach, schon gar nicht vor Publikum. Hier sind wir Spielleiter
gefordert, den Spielern Handreichungen zu geben. Dazu ein paar
Anregungen:
(1) beschreibende Stilmittel
Sicherlich die
gängigste Lösung, aber auch sehr aufwendig. Da es zu diesem Thema
reichlich Literatur gibt, hier nur zwei selbst erlebte
Beispiele:
Carmichael: Ein SL hat durch eine sorgfältig
entwickelte Geschichte nicht nur meinen Charakter dazu gebracht, an
seiner Identität und geistigen Gesundheit zu zweifeln, sondern mich
selbst als dessen Spieler auch. Ich war mir nicht mehr sicher, ob
dieser Charakter der war, der er zu sein glaubt, und dabei hatte ich
ihn selber erschaffen. War hochstressig, streckenweise hab’ ich
mich auch überhaupt nicht wohl gefühlt, war aber die intensivste
Rollenspielgeschichte, die ich als Spieler erlebt habe.
Beziers:
Die SCs hatten sich zusammen mit der halben Stadt vor den
Kreuzfahrern in die Kathedrale geflüchtet. Sie tauchten in die
Krypta ab, die Kathedrale wurde über ihnen angezündet. Durch
sorgfältiges Anstuppsen der Ängste ihrer Charaktere waren die
Spieler so mit den Nerven fertig, dass einer von ihnen schlecht
wurde, als das ausgebackene Fett die Stufen der Krypta hinabzulaufen
begann...
Der „Nachteil“ dieser Technik besteht darin, dass
einige Zeit vergeht, bis man durch Beschreibungen eine
paranoide/eklige/verzweifelte Atmosphäre aufgebaut hat. Außerdem
klappt es nicht immer. Wenn aber doch, ist es sehr intensiv. Es
eignet sich also vor allem für die zentrale Szene einer
Geschichte.
(2) Kill the characters you love
Nicht die
Spielercharaktere, das wäre fies. Die falsche Sorte von fies, meine
ich. Für gewöhnlich bauen Spieler Beziehungen zu NSCs auf, und
einige davon wachsen ihnen an’s Herz (aus welchen Gründen auch
immer). Knöpft sich ein Bösewicht einen solchen Favoriten vor und
bringt ihn um (vielleicht auf besonders grausame Weise, vielleicht
aber auch verächtlich im Vorbeireiten, ganz, wie es die Dramaturgie
erfordert), werden auch die Spieler diese Figur hassen, nicht nur die
Charaktere.
Auch hier gibt es einen „Nachteil“: setzt man es
zu häufig ein, stumpfen die Spieler ab. Außerdem gehen dem SL
irgendwann die knuddeligen NSCs aus.
(3) Die innere Stimme
Auf
der Suche nach einer flexibleren Technik bin ich auf eine weitere
Idee gestoßen. Die ist mangels Gelegenheit noch in der
Beta-Test-Phase. Literarisch bewanderten wird es nichts Neues sein,
dass der Protagonist häufig Zwiegespräch mit seinem inneren
Schweinehund hält, der ihn vom rechten Weg abbringen will und für
die leichte Lösung plädiert. In zukünftigen Runden will ich in
entscheidenden Szenen die Rolle dieses inneren Schweinehunds
sprechen. Spieler und ich werden ein Zwiegespräch halten, dass für
den Charakter einen „inneren Dialog“ darstellt, in dem der innere
Schweinehund ihn daran erinnert, dass der Chaoskrieger ihm durchaus
den Schädel zerquetschen könnte; dass die Gräfin, der er gerade
schnoddrig kommt, ihn ohne mit der Wimper zu zucken auf unbestimmte
Zeit einkerkern lassen kann; und dass Klaustrophobie nicht nur
bedeutet, dass man im Dungeon -10 auf alles hat, sondern dass man
hier RAUS will. JETZT. SOFORT. Oder es PASSIERT was. Der Spieler wird
dann erklären müssen, wie es kommt, dass ihn das in der Situation
nicht anficht, bzw. womit er dagegen ankämpfen kann.
Selbst wenn
es den Spieler emotional nicht berührt, könnte ihn das zumindest
dazu bringen, zu reflektieren, warum seine Figur ein Held ist, und
ihn so besser kennenzulernen. Bin mal gespannt, ob das klappt.
In
des Angelsachsen proverbialer Nussschale: der Spieler weiß, dass am
Ende alles gut wird. Der Charakter darf das nicht wissen, und muss
dies dem Spieler deutlich machen, das macht die Sache sehr viel
spannender.
Der Kolumnist
* Für’s Protokoll: ich MAG
Conan. Aber nicht, weil seine Geschichten großartig sind. Sindse
nemmich nich. Sondern weil Gedärme, stumpfe Aktionen und
Kettenhemdbikinimiezen drin vorkommen.
** Und ihm dann noch
eine Weile in die Weichteile nachzutreten. Jedenfalls behaupten
Spielleiter, dass meine Charaktere einen Hang zu solchem Tun hätten.
*** Naja, vielleicht auch ein bisschen weil wir es gerne tun.
Aber nur ein kleines bisschen.</räusper>
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